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Kunst oder Handwerk – kann man kreatives Schreiben lernen?

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Wer das kreative Schreiben zu einem Bestandteil seines Lebens machen möchte, stellt sich eine Frage beinahe zwangsläufig: Kann ich schreiben? Habe ich Talent? In Deutschland, im sogenannten Land der Dichter und Denker, gibt es eine lange Tradition des Geniekults. Dessen Anhänger sind der Ansicht, zum Schreiben gehöre Talent – und das habe man oder nicht. Ein Schriftsteller werde als solcher bereits geboren. Eine Loslösung von diesem Mythos wird vermutlich noch eine Weile dauern, da er tief mit der Kultur des Landes verwoben ist. Aber langsam verbreitet sich auch hier die US-amerikanische Auffassung. Sie besagt, Schreiben sei ein Handwerk mit Regeln, die es zu beachten gelte – und die könne man lernen.

Ich bin der Meinung, dass sich wesentliche Elemente des kreativen Schreibens erlernen lassen. Charakterisierung, Struktur, Spannungsaufbau: Es gibt einige Techniken und Regeln, deren Beherrschung zumindest zu veröffentlichungsreifen Texten führt. Für die letzten Prozentpunkte bis zum preiswürdigen Werk oder Bestseller ist ein Quäntchen Talent aber sicherlich nicht schädlich.

Warum sollte es mit dem Schreiben auch anders sein als mit der Musik oder mit der bildenden Kunst?  Sicherlich gibt es einen Konsens darüber, dass jeder, der ein Instrument meisterhaft beherrschen möchte oder der kunstvolle Gemälde erschaffen will, Übung braucht. Komponisten müssen Taktgefühl entwickeln, sie setzen sich mit Harmonielehre auseinander, sie lernen, Dissonanzen zu vermeiden – oder sie gewollt einzusetzen, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Maler wiederum befassen sich mit der Farbenlehre, sie in üben in zahllosen Skizzen den richtigen Umgang mit der Perspektive und testen unentwegt verschiedene Materialien und Maltechniken. Und all das gilt auch für das Schreiben: Wahre Meisterschaft erlangt man nur durch Übung.

Übung und Durchhaltevermögen – Voraussetzungen für den Erfolg

Selten gelingt einem Autor mit seinem Debütroman ein Bestseller. Wenn es doch gelingt, bejubeln der Verlag und die Presse den Erfolg gern als „overnight success“, also als einen Erfolg, der über Nacht angeflogen kam. Ebenso gut könnte ein Stabhochspringer die Messlatte aus dem Stand überqueren. Unwahrscheinlich? Ja, ebenso wie der „overnight success“ eines Autors.

Nehmen wir der Einfachheit halber ein sehr prominentes Beispiel: Stephen King, US-amerikanischer Horrorautor, hat mit seinem Debütroman Carrie einen sehr großen Erfolg feiern können, dem viele weitere folgten. Aber kam dieser Erfolg aus dem Nichts? Mitnichten. King schrieb seit seiner Kindheit Kurzgeschichten. Er brachte gemeinsam mit seinem Bruder eine Zeitung für die Nachbarschaft heraus. Er arbeitete als Schüler nebenher als Sportjournalist. Er schrieb während des Studiums und danach, als er einem ganz normalen Vollzeitjob nachging, viele, viele Kurzgeschichten, die er teilweise an Zeitschriften verkaufte. Während er Carrie schrieb, arbeitete er als Englischlehrer, den Roman schrieb er in seiner Freizeit. Vermutlich kann er selbst nicht mehr abschätzen, wie viele Blätter Papier er schon vollgeschrieben hatte, bevor er mit Carrie begann. Erfolg über Nacht? Nein, das war ein Erfolg, den er sich über viele Jahre hinweg erarbeitete – und auf diesem Weg sammelte er Absagen über Absagen. Einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Autoren musste sein Handwerk erst lernen.

Was bedeutet das für den Anfänger, der von einer Karriere als Schriftsteller träumt? Es ist völlig okay, wenn die ersten Texte nicht gut sind. Es ist sogar völlig okay, wenn sie richtig schlecht sind. Das ist normal. Die Aufsätze im Deutschunterricht haben mit kreativem Schreiben nichts zu tun. Wer mit kreativem Schreiben beginnt, startet quasi bei null. Die gute Nachricht: Die Qualität wird besser. Es kursieren Angaben, dass ein Autor alle hunderttausend geschriebenen Wörter einen Qualitätssprung nach oben macht. Nach einer Million Wörter beherrsche man dann sein Handwerk, so die Anhänger der Theorie. Eine andere Auffassung besagt, dass es zehntausend Stunden koste, um wahre Meisterschaft zu erlangen – seien  es Trainingsstunden in einer Sportart, seien es Übungsstunden am Instrument oder eben beim Schreiben. Das klingt nach viel? Nun, niemand hat gesagt, dass es leicht ist, veröffentlichungsreife Texte zu schreiben.

Talent und Leidenschaft – eine wechselseitige Beziehung

Braucht man nun Talent zum Schreiben? Talent kann sicher eine Abkürzung bedeuten, indem man vieles intuitiv richtig macht, was andere erst durch viel Übung herausfinden müssen. Und es kann den Unterschied zwischen einem guten Text und einem herausragenden Text bedeuten. Aber ich bin überzeugt davon, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Talent und dem, was man gern tut. Die Frage ist ein bisschen wie die nach der Henne und dem Ei: Tut man etwas gern, weil man gut darin ist? Oder wird man richtig gut in einer Tätigkeit, weil man sie gern macht und viel Zeit dafür aufwendet? Beides bedingt sich meiner Auffassung nach gegenseitig. Wer etwas hasst, sollte seine Zeit nicht damit vergeuden. Wer etwas gern tut, wirklich gern tut, wer sich reinhängt und sich ein Leben ohne diese Tätigkeit nicht vorstellen kann, der wird auch gut darin werden, weil er sich permanent damit beschäftigt. Dabei lernt er zumindest die Grundlagen. Und wer über Jahre am Ball bleibt, wird gut werden.

Fantasie und Kreativität – die Grenzen des Lernbaren

Selbstverständlich müssen Autoren Fantasie haben, sie müssen Ideen entwickeln können (und sie als solche erkennen), und sie müssen ein gewisses Maß an Kreativität mitbringen. Das alles ist schwierig bis unmöglich zu lernen. Aber für einen fantasievollen Menschen ist es möglich, die Kreativität anzuregen und Ideen auf die Sprünge zu helfen. Ideen sind Herdentiere. Wo eine auftaucht, folgen schnell weitere nach. Kein kreativer Mensch braucht Angst vor einer Ideenleere zu haben. Wer eine Idee verbraucht, weil er sie umsetzt, wird schon fast zwangsläufig weitere Ideen entwickeln. Über verschiedene Möglichkeiten, Ideen sprudeln zu lassen, wird es im nächsten Blogbeitrag gehen.

Bildnachweis: peepo / istockphoto.com

Was denkst du? Kann man Schreiben lernen? Wo siehst du die Grenzen? Ich freue mich über Kommentare.

7 Kommentare

  1. David Morrell, der Rambo geschrieben hat, vergleicht das Schreiben sogar mit Sport. Wenn man regelmäßig, am besten täglich schreibt, so ist man besser. Eine Pause von einem viertel Jahr bemerkt man schon. (Aus: „The successful Novelist: A Lifetime of Lessons about Writing and Publishing“ von David Morrell.) Das kann ich unterschreiben.

    Stephen King hat vor „Carrie“ vier Romane geschrieben, die er bei keinem Verlag hatte unterbringen können. Diese erschienen später unter dem Namen „Richard Bachman“. „Carrie“ hatte er bereits in den Papierkorb geworfen. Auch ihm sind Selbstzweifel nicht fremd … Seine Frau hat das Manuskript gerettet. Ein „overnight success“ war er ganz gewiss nicht. (Stephen King: „On Writing: A Memoir of the craft“. Dt: „Das Leben und das Schreiben: Memoiren“.)

    Es gibt viele gute Schreiblernbücher, die das Erlernen des Handwerks sehr verkürzen können und Hürden aufzeigen. Gerade im Bereich der Struktur und des Plots lässt sich sehr viel lernen.
    Den Schreibstil kann man schlecht erlernen, weil er sehr intuitiv erfolgt. Sicher kann man ihn verbessern, indem man zu viele Füllwörter, den übermäßigen Gebrauch von Adjektiven etc. vermeidet, aber wirkliche Kontrolle hat man darüber, wie auch über andere Aspekte des Schreibens nicht. Kaum jemand weiß, woher die Ideen wirklich herkommen …

    1. In manchen Kreisen, die immer noch sehr dem Geniekult anhängen, ist das Lesen von Autoren- beziehungsweise Schreibratgebern verpönt. Aber jeder Autor, ohne Ausnahme, wird zugeben müssen, dass seine ersten Texte Müll waren – oder sagen wir es so: Verbesserungspotenzial hatten. Jeder Autor wird mit der Zeit besser. Und dieser Prozess stoppt nicht mit dem ersten veröffentlichten Werk. Literarisches Schreiben ist ein lebenslanger Lernprozess. Und zumindest für den ungeübten Autor sind Schreibratgeber eine tolle Hilfe und können den Weg zu veröffentlichungsreifen Texten sehr abkürzen. Das sehe ich genauso wie du.

      On Writing von Stephen King ist ein ganz tolles Buch. Meiner persönlichen Meinung nach weniger aus handwerklicher Sicht, denn der Teil kommt darin ja recht kurz. Aber ich habe es zwei Mal gelesen (das erste Mal 2002) und blättere ab und zu darin, weil es mir ungeheuer viel Motivation gibt. Das ist für mich der Hauptnutzen dieses Buches.

      Danke für deine Anmerkungen!

  2. Schreiben ist eine Sache, Erfolg damit haben, eine ganz andere. Zum Erfolg gehört auch das übliche Quäntchen Glück. Aber eine ganz wichtige Voraussetzung ist sicher LESEN. Dann merk man schnell, welchen AutorIn man gerne liest, und kann dann auch überlegen, weshalb das so ist. Das soll nicht in copy-paste ausarten, aber Vorbilder ist auch beim Schreiben hilfreich.

    Verlag suchen? Das fand ich mühseliger, als Schreiben. Ich habe einen Verlag durch eine Fehlschaltung in deren Telefonanlage gefunden. Das sind so die Zufälle des Lebens.

    1. Am Anfang einer Autorenkarriere stehen viele Experimente: Welche Perspektive wähle ich? Wie setze ich Infodumping oder Rückblenden ein, ohne dass ein Leser aus dem Text geschmissen wird? Wie führe ich meinen Protagonisten ein? Wie eine Nebenfigur? Dazu ist ein „Studium“ erfolgreicher Werke sehr hilfreich – und das Kopieren. Es handelt sich ja nicht um ein Kopieren von Inhalten, sondern von Techniken. Und letztlich muss man möglichst viele Techniken kennen, um die jeweils passende auswählen zu können. Dazu hilft Lesen wirklich ungemein.

      Vielen Dank für deinen Kommentar und viel Erfolg mit deinen Büchern!

  3. Auch ich habe mich im Schreiben versucht und bin an der einen oder anderen Aufgabe gewachsen, eigentlich am ganzen Prozess.
    Vielen Dank für den super Artikel!!

  4. Talent ist notwendig, und Talent hat man, oder man hat es nicht, und Schreiben ist Kunst. Das ist Tatsache und wird sich nie ändern. Schreiben kann man lernen und muss man üben, ohne viel Übung, vieleicht Jahre lang, kann man nicht gut schreiben. Auch das ist Tatsache. Warum sehen Sie diese beiden Tatsachen als Widerspruch an? Das ärgert mich. Beides(!) ist Tatsache. Man hat nicht Talent ODER muss üben, sondern man braucht Talent, UM zu üben. Wer kein Talent hat, hat im Allgemeinen keine Lust, Jahre zu üben.

  5. Ich spiele seit 40 Jahren Instrumente. Komponieren ist mit dem Schreiben durchaus vergleichbar, so wie auch mit dem Malen und Zeichnen. Alle drei Kunstformen haben unter vielem Anderem eines gemeinsam – Talent ist eine Gabe, die ungemein bei Allem hilft, was man im Feld seiner Wahl unternimmt. Es entlastet und entspannt bei allen Dingen, die man künstlerisch unternimmt. Das nimmt einem aber leider nicht die jahrelange Arbeit, das Training, das Mühen, Lesen, Informieren, das Ausprobieren, den Austausch mit Anderen und die vielen kleinen Überlegungen, Ansätze und die ärgerlichen aber auch lehrreichen Fehlschläge während abertausender Stunden Beschäftigung mit dem, was man liebt,

    Wenn ich mit den Jahren eines gelernt habe, ist es das: Talent ist nett, wenn man es hat. Hat man es nicht, muß man einfach mehr dafür tun, daß das gewünschte Ergebnis zustande kommt. Talent nimmt einen Teil der Arbeit ab, erleichtert vieles und ermöglicht spielerisches Erarbeiten anstelle mühsamen Quälens. Es ist aber keine Pflicht, ein Beethoven oder Goethe zu sein, absolut nicht. Die Zahl der Geniusse macht unter einem Prozent aus – der Rest übt sich in Geduld und müh- und geduldsamer Arbeit. Das ist die Regel.

    Ich sehe trotz allen Interpretationswillens nicht, daß unsere geschätzte Autorin dies in ihrem Text vorausgesetzt hätte. Einen Widerspruch vermag ich absolut nicht zu erkennen, vielmehr sieht sie das offensichtlich aufgrund ihrer Erfahrung ähnlich realistisch wie ich – Talent hilft ein bißchen bei er Umsetzung, 90% des Prozesses sind aber einfach harte Arbeit, die einfach geleistet werden muß.

    Ich postuliere deshalb, daß mein geschätzter Vorschreiber Andreas sich an irgendeinem Punkt der Logikkette schlicht … verhaspelt hat. Das passiert. Wir sind alle nur Menschen. Mehr nicht.

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